von Oliver und Ulrich Bossert
Der nachfolgende Artikel ist erschienen in: MNU 53/6 (2000) S.361-363 (Ferdinand Dümmler Verlag, Bonn)
Das vorgestellte Programm simuliert das evolutionäre Wettrennen zweier Populationen gegen einen Parasiten. Die eine Population pflanzt sich ungeschlechtlich, die andere geschlechtlich fort. Wachstum und Fitness der beiden Populationen können über die Generationen verfolgt werden.
Das Markenzeichen der Naturwissenschaften ist das Experiment. Nach einer Phase der Überlegungen ( Beobachtung, Fragestellung, Hypothesenbildung ) muss der Naturwissenschaftler tätig werden und zur Überprüfung Versuche durchführen.
In der Evolutionsforschung, ebenso wie in der Geologie und auch der Astronomie, sind Versuche nicht möglich. Das Geschehen der Vergangenheit kann nur durch einen Transfer heute durchgeführter Beobachtungen / Experimente oder durch Simulationen verdeutlicht werden. So plausibel die Theorien auch sind – es fehlen direkte Beweise. Deshalb sind auf diesen Gebieten auch Vorstellungen, die von den wissenschaftlichen stark abweichen ( Kreationismus, Astrologie ), weit verbreitet.
Neben vielen Wirbellosen ( z.B. Blattläuse ), die sich zumindest zeitweise parthenogenetisch vermehren, gibt es Wirbeltierarten, bei denen die Populationen sogar ausschließlich aus weiblichen Tieren bestehen. Durch den Verzicht auf Männchen kann die Vermehrungsrate verdoppelt werden. Asexualität ist bei Tieren aber die Ausnahme und nicht die Regel. Betrachtet man den Material- und Energieeinsatz, so fragt man sich: Warum ?
Viele Evolutionsforscher beschäftigen sich mit diesen Fragestellungen: Entstehung der geschlechtlichen Fortpflanzung, Auftreten des Sexualdimorphismuses ( sexuelle Selektion ), ja sogar mit dem Ursprung sexueller Vorlieben. In diesem Beitrag wird nur auf den ersten Punkt eingegangen.
Sieht man von Fehlern bei der Kopie des Erbgutes und Mutationen ab, so entstehen bei der vegetativen Vermehrung Klone. Durch Meiose, Crossing-over und Rekombination erhöht sich die Variabilität bei der sexuellen Reproduktion. Die Zahl der Präadaptionen für eine ungewisse Zukunft steigt.
Lebewesen würde so eine Anpassung an heterogene Lebensräume ( tangeled bank - Hypothese ) erleichtert oder sie hätten in dem von Generation zu Generation immer schwieriger werdenden Wettlauf ( Rote-Königin - Hypothese ) einen Vorteil.
Die Rote-Königin - Hypothese kann durch ein evolutionäres Wettrennen gegen einen Parasiten überprüft werden. Das vorliegende Computerprogramm simuliert das Fortpflanzungsverhalten zweier Populationen ( = Wettrennen ), von denen sich eine ungeschlechtlich, die andere geschlechtlich vermehrt. Dabei können die Veränderungen des Erbgutes und das Wachstum der Populationen verglichen werden. Beide werden in gleichem Maße von Parasiten befallen.
Ergebnisse, die mit den voreingestellten Parametern erhalten wurden, zeigen Abbildung 2 und 3. Sie zeigen, wie sich der anfangs gleiche GC-Gehalt auseinander entwickelt. Obwohl der Unterschied am Anfang gering ist, hat er starke Auswirkungen auf die Überlebensrate. Nach 500 Generationen ist der Ausgang des Wettlaufes deutlich.
Abbildung 2: Grafische Darstellung der Veränderung des GC-Gehaltes ( = Fitness ) des Genpools zweier Populationen. Die eine vermehrt sich ungeschlechtlich ( GC-Nichtsexuell ) und die andere geschlechtlich ( GC-Sexuell ).
Parameter wie unter Abb. 1 . |
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Abbildung 3: Grafische Darstellung des Einflusses eines Parasiten auf die Überlebensrate der unter Abb. 2 dargestellten Populationen. |
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Nach einigen Wiederholungen der Simulation mit den gleichen Parametern kann man die Auswirkungen des Zufalls auf den Verlauf abschätzen.
Dann kann man systematisch beginnen, einzelne Parameter zu ändern und versuchen voraus zu sehen, wie die Entwicklung der Populationen beeinflusst wird.
Erhöht man die Anzahl der Generationen, so erreichen beide das "Ziel" ( hoher GC-Gehalt ). Mit geschlechtlicher Fortpflanzung wird die vorteilhafte Basenzusammensetzung früher erreicht. Bei der sich ungeschlechtlich vermehrenden Population wäre die Gefahr vorher auszusterben groß, falls Selektionsfaktoren einwirkten.
Eine Mutationsrate unter 3 % verlangsamt den Anstieg des GC-Gehaltes. Liegt die Rate sehr hoch, geht der Vorteil, der durch die geschlechtliche Fortpflanzung entsteht, zurück.
Erhöht man das Mutationslimit, so erhöht sich der Vorsprung der sich geschlechtlich vermehrenden Population. Ein hohes Mutationslimit entspricht der Realität. Es bedeutet nämlich, dass weite Bereiche des Genes erhalten werden müssen.
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ProgrammstrukturDie im folgenden Text in Klammern stehenden Angaben beziehen sich auf den Startbildschirm des Programms. Gegeben sind zwei Ausgangspopulationen mit je 100 Individuen. Die Population, die sich ungeschlechtlich (nicht sexuell) vermehrt, besitzt ein Ausgangsgen, das 20 Basen ( Initgen wird zwei mal verwendet ) lang ist. Die andere Population, die sich geschlechtlich (sexuell) fortpflanzt, besitzt zwei anfangs homozygote Allele ( zwei Initgene mit je 10 Basen ). Der GC-Gehalt ( Werte – Tabelle im Fenster: GC-Gehalt in %, zweiter Wert ) soll ein Maß für die Fitness ( Überlebenskriterium: Zufallszahl [ 0 ... 100 ] * Parasitkillfaktor < GC-Gehalt [%] ) gegenüber einem Parasiten sein. Jedes Gen kann mutieren ( Mutationsrate, voreingestellt 3 % ); die Fitness kann zu- oder abnehmen. Wird das Gen über ein bestimmtes Maß ( Mutationslimit, voreingestellt 30 % ) hinaus verändert, stirbt das Lebewesen. Bei der Population, die sich geschlechtlich fortpflanzt, wird die Fitness zusätzlich durch die Neukombination der Gene beeinflusst. Alle Lebewesen der Ausgangspopulationen werden mit dem Start des Programms vom Parasiten befallen – sie überleben entsprechend ihrer Fitness. Die Populationen werden dadurch dezimiert. Die Anzahl der verbliebenen Individuen ( Werte – Tabelle im Fenster: Anzahl Lebender nach Parasit, erster Wert ) wird angezeigt. Jetzt mutieren die Gene; entstehen dadurch Letalmutanten, sterben die Träger. Dann vermehrt sich die jeweilige Restpopulation und bildet die nächste Generation ( Läufe ). Bei der Population, die sich ungeschlechtlich vermehrt, werden Individuen zufällig ausgewählt, die sich verdoppeln. Dieser Vorgang wird fortgesetzt, bis die Population wieder auf 100 Individuen aufgefüllt ist. Bei der anderen Population werden zwei Individuen zufällig ausgewählt; das erste gibt das erste, das zweite das zweite Allel an den Nachkommen weiter. Auch hier wird die Population auf 100 aufgefüllt. Der Zyklus wiederholt sich entsprechend der Zahl der gewählten Generationen ( Läufe, voreingestellt 500 ).
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Bedienung des ProgrammsDas Programm läuft unter Windows 32-bit-Systemen und kann über die Homepage http://www.bossert-bcs.de/biologie als zip-file ( d.h. das Programm muss entpackt werden ) oder auf Diskette bezogen werden ( Einzahlung von 5 DM für U. Bossert, Konto-Nr. 0357011864, Frankf. Spark., BLZ 500 502 01 ). Das Programm muss nicht installiert werden. Es kann auf die Festplatte kopiert werden, läuft aber auch direkt von Diskette ( mit Doppelklick starten ). Der Startbildschirm ( Abbildung 1 ) zeigt fünf voreingestellte Parameter, die man auch variieren kann ( mit der Maus anklicken ): |
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Abbildung 1: Startbildschirm mit den voreingestellten Parametern.
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Initgen: Basen frei wählbar, Anzahl ( 10 ) festgelegt.
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Ist die Simulation beendet, kann man sich die Werte: "Anzahl der Lebenden nach Parasit" und "GC-Gehalt" einzeln, paarweise oder alle zusammen grafisch ( auch in 3D ) ausgeben lassen. Die grafische Darstellung lässt sich beliebig skalieren und über die Tastenfolge <Alt> und <Druck> in die Zwischenablage übernehmen. Von dort kann man sie in "Word" oder andere Programme einfügen. Außerdem kann man für eigene Darstellungsweisen die Werte aus den beiden Fenstern kopieren ( markieren, <Strg> und <C> ) und z.B. in "Excel" einfügen. Die Simulation läuft schneller, wenn die grafische Ausgabe während der Berechnung deaktiviert ist.
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Baer, B./Schmid-Hempel, P.: Experimental varation in polyandry affects parasite loads and fitness in a bumble-bee. In: Nature 397, 1999, S. 151 –
Bossert, O./Bossert, U.: Sichelzellenanämie – Computersimulation eines balancierten Polymorphismus. In: MNU 51/8, 1998, S. 476 - 477
Crews, D.: Animal Sexuality. In: Scientific American 270, 1994, S. 96 - 103
Gould, J.L./Gould, C.G.: Partnerwahl im Tierreich. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 1990