Bessere Lehrplangestaltung

Verbesserungsvorschläge

 

 

  • 1. Die Stundenzahl und die Klassenfrequenz
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    Voraussetzung für eine Verbesserung ist ein offeneres Verhältnis der Gesellschaft zu den Naturwissenschaften. Die Allgemeinheit sollte sich neugierig und skeptisch um deren Inhalte bemühen. In den Stundentafeln sollte sich die Bedeutung der Naturwissenschaften widerspiegeln – d.h. die Stundenzahl sollte erhöht werden.

    Kleinere Klassenfrequenzen wären für viele Schüler ein großer Vorteil. Viele Disziplin- und Motivationsprobleme würden gemildert, wenn die Lehrkräfte wieder mehr Zeit für den Einzelnen hätten.

    Eine Erhöhung der Gesamtstundenzahl der naturwissenschftlichen Fächer in der Sekundarstufe I würde auch helfen, den oft beklagten Rückstand der Mädchen auf diesem Gebiet abzuschwächen; dann müßte man später keine "Reservate" schaffen.

     

     

  • 2. Der Lehrplan
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    Hier sind große Würfe, aber auch Veränderungen in kleinen Schritten möglich. Alle Beteiligten können dazu etwas beitragen.

    Es ist hoffentlich klar geworden, daß es nicht um entweder Fachwissenschaft oder Gesellschafts- und Schülerrelevanz geht, sondern um beides, einen Kompromiß, der noch viel mehr einbeziehen muß als diese Aspekte.

    Nimmt man die Absichtserklärungen vom lebenslangen Lernen ernst ( sie stehen meist nur im Vorwort zu den Lehrplänen ) und bedenkt außerdem, daß wir erst am Anfang der Informationsgesellschaft stehen, so wird klar, daß ein ganz anderer Lehrplanansatz nötig ist. Wie diese Grundstruktur, die größtenteils die gleichen Inhalte haben kann, aussehen soll, kann man aus dem folgenden Zitat ableiten:

    "Intelligent organisiertes inhaltliches (Vor-) Wissen ist eine notwendige Voraussetzung für den intelligenten Umgang mit Information aus einem anspruchsvollen Inhaltsbereich" /1/.

    Es ist einsichtig, daß nur strukturiertes Wissen ein weiteres selbständiges Lernen ermöglicht. Es muß ein Grundmuster eines (Welt-) Bildes vorhanden sein, das einen Gesamtüberblick erlaubt und das in der Zukunft Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen vervollständigt und erweitert werden kann. Wenn das Wissen, wie es in den Lehrplänen der Sekundarstufe I fast durchweg der Fall ist, nicht in ein für die Schülerinnen und Schüler klares System eingebettet ist, hängen die Mosaiksteinchen in der Luft, das Wissen ist bruchstückhaft, die Merkfähigkeit verringert. Nur eine Vorstellung davon, wie naturwissenschaftliche Erkenntnis zustande kommt und ein Gesamtbild, sei es auch noch so unvollständig, erlauben es, Information zu bewerten, einzuordnen und sinnvoll zu nutzen und auf diese Weise die Informationsflut zu integrieren.

    Wie koordiniert man nun die Felder, die alle berücksichtigt werden sollen: Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Schülerinteressen, Gesellschaftsrelevanz, allgemeine Erziehungsziele, Arbeitstechniken, experimentellen Unterricht, Entwicklung von Projekten, Entwicklung eines geschlossenen und ausbaufähigen Bildes usw., usf.?

    Die Lösung muß notwendigerweise komplex sein. Vorschläge zu einer Verzahnung gibt es schon. Ein früher Beitrag ist "Strukturgitter der Naturwissenschaftsdidaktik" von Michael Ewers /2/ und ein neuerer ist der matrixartige Entwurf "Versuch einer Darstellung des Erwerbs fachspezifischer Bildung und fächerübergreifender Allgemeinbildung durch die Biologie" von einer Kommission des Verbandes Deutscher Biologen /3/. Beide Arbeiten enthalten eine Fülle von Anregungen; es fehlt aber beiden eine einheitliche Grundstruktur, es ergibt sich kein Gesamtbild.

    Überlegt man, was als Gliederung dienen kann, so bietet sich das natürliche System an. Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, will ich betonen, daß keine Rückkehr zu Monographien Schmeilscher Prägung (auch nicht in versteckter Form) geplant ist und daß das System nicht Selbstzweck ist, sondern nach und nach als Gerüst, Ordnungssystem und Gedächtnisstütze aufgebaut werden soll. Der Zeitaufwand dafür beträgt wenige Stunden in der gesamten Sekundarstufe I und der strukturierende Effekt ist enorm.

    In Klasse 5 – 7 kommt man mit der Einteilung in Tiere und Pflanzen aus; neben den Wirbeltierklassen stehen einige ausgewählte Klassen der Wirbellosen.

    In Klasse 8 sollte man die fünf Reiche /4/ einführen und die bisher kennengelernten Einheiten integrieren. Der Ordnungseffekt ist verblüffend, der Wert für den Unterricht in der Sekundarstufe II groß.

    Wie Übersicht 1 zeigt, sind die fünf Reiche nur eines von mehreren Auswahlkriterien. Es ist nicht das wichtigste Kriterium, aber das, das die Struktur gibt. Die Unterrichtsinhalte sind Themen der Allgemeinen Biologie; sie sollten aber so ausgewählt werden, daß nach und nach möglichst viele systematische Klassen berücksichtigt werden. Es ist nicht so wichtig, daß alle Gruppen behandelt werden, sondern daß das System deutlich wird. Die Reihenfolge der Behandlung im Unterricht entspricht (im Text des Artikels steht hier ein falsch eingefügtes 'derzeit') nicht der Anordnung im natürlichen System.

    Im Mittelpunkt des Unterrichts steht also ein aus einer Beobachtung abgeleitetes Problem der Allgemeinen Biologie, das von den Schülerinnen und Schülern forschend-entwickelnd gelöst wird /5/. Der Lösungsplan orientiert sich an der naturwissenschaftlichen Denkweise. Für den konkreten Fall werden eine angemessene Arbeitsweise und geeignete Arbeitstechniken ausgewählt; dadurch ist der Unterricht auch handlungsorientiert.

    Es müssen also alle Auswahlkriterien erfüllt sein: Das Thema aus dem Bereich der Allgemeinen Biologie muß so ausgewählt werden, daß es von der Altersgruppe forschend-entwicklend gelöst werden kann und wichtige Arbeitsweisen und –techniken kennengelernt und eingeübt werden. Die Lösung wird kritisch beleuchtet.

    Der biologische Stoff ist aber nur dann ausreichend begründet, wenn für ihn zusätzlich noch Argumente aus den Feldern "Schülerinteressen" und "Gesellschaftsrelevanz" sprechen. Das Problem muß so ausgewählt sein, daß es sowohl wichtig für den Einzelnen als auch die Gemeinschaft ist. Der Unterricht ist auf die Aufgabe zentriert; sein Verlauf aber so geplant, daß auch soziale Fertigkeiten erworben und geübt werden können.

    Für jede konkrete Unterrichtsstunde sollte es eine oder mehrere Begründungen aus jedem der Auswahlfelder geben. Dadurch ist sichergestellt, daß sich kein Gebiet ( z.B. die Systematik ) verselbständigt; ein Feld relativiert und kontrolliert das andere. Kein Auswahlfeld ist Selbstzweck, aber jedes ist bedeutungsvoll und dient gleichzeitig den anderen.

    Das Neue an diesem Vorschlag ist, daß versucht werden soll, das Wissen anhand der Systematik und der Allgemeinen Biologie so darzubieten, daß für die Jugendlichen eine Grundstruktur entsteht, die durch die Einsicht in naturwissenschaftliche Arbeits- und Denkweisen so erweitert wird, daß ein geschlossenes, wenn auch noch lückenhaftes Gedankengebäude der Naturwissenschaft Biologie entsteht.

    Übersicht 1 zeigt zwei Dinge: einmal eine allgemeine Möglichkeit, zu einer guten didaktischen Begründung für eine Unterrichtsstunde zu kommen und zum anderen ein ganz konkretes Beispiel zur Veranschaulichung.

    Die allgemeine Möglichkeit wurde schon oben dargelegt: es sind die einzelnen Felder zu überprüfen und als Auswahlkriterien heranzuziehen. Die angeführten Punkte in dem Raster sind sehr allgemein formuliert und damit sehr umfassend. Die einzelnen Listen sind auch sicher noch nicht vollständig. Es handelt sich um einen Entwurf, der weiterentwickelt werden muß.

    In dem durchgehenden Auswahlrahmen stehen einzelne Gesichtspunkte, sozusagen Unterpunkte der umfassenderen Kriterien, die die didaktische Begründung für eine Doppelstunde mit dem Thema "Modellexperimente zum Wärmehaushalt der Säugetiere" zeigen. Der Verlauf der Stunde ist in diesem Heft (s. S. 268 - 271) dargelegt /6/.

    Der Auswahlrahmen zeigt, allerdings nur in Verbindung mit dem anderen Artikel, daß die Stunde didaktisch gut begründet ist. Es wird auch deutlich, wie stark Didaktik und Methodik verschränkt sind und daß man schon frühzeitig in der Planung die didaktische Reduktion und die Methodik der Stunde in Einzelheiten mitbedenken muß, da sonst der problemorientierte Ablauf nicht sichergestellt ist und die Auswahlkriterien "Arbeitsweisen" und "Arbeitstechniken" nicht einbezogen werden können.

    Im Mittelpunkt des Unterrichts über den Wärmehaushalt der Säugetiere steht ein Problem, das die Schüler, von einer Beobachtung ausgehend, selbst erfaßt haben und an dessen Lösung sie arbeiten. Die breite didaktische Begründungsbasis führt dazu, daß sich den Schülern im Verlauf der Stunden eine große Anzahl vielseitiger Aspekte bieten. Die Mühe, hinter die Lösung zu kommen, führt zur Aneignung, zu Stolz und Freude bei der Lösung.

    Da die Unterrichtsstunden forschend-entwickelnd geplant sind, ist für alle eine gute Mitarbeit möglich und es werden alle Schüler gefördert und gefordert.

    Mit dem folgenden Zitat von Ruth Berghaus möchte ich diesbezüglich meine Überlegungen abschließen: "Wenn man den Menschen eine Arbeit abverlangt, und zwar bis zum Alleräußersten, dann sind sie froh. Dann sehen sie in der Arbeit einen Sinn." 

     

  • 3. Die Fachdidaktik
  •   Von der Fachdidaktik würde ich mir wünschen, daß sie die aktuellen Lehrpläne genau analysiert, Fehler aufdeckt, konkrete Verbesserungsvorschläge macht und für den "Alltagsbiologieunterricht" Musterstunden von hoher Qualität entwickelt. Dieser Stundenfundus sollte nach und nach den ganzen Lehrplan abdecken. Die Ausarbeitungen von Einzelstunden sollten weniger die fachwissenschaftlichen Inhalte darlegen, sondern konkrete methodische Hinweise und kleinschrittige Hilfen enthalten.

    Der Unterricht, Didaktik im engeren Sinne und Methodik der einzelnen Stunde sollte im Mittelpunkt der Arbeit stehen.

    Man könnte sich auch vorstellen, Musterstunden mit Unterrichtsmaterialien im Internet zur Verfügung zu stellen.

    Eine solche Sammlung würde wesentlich zur Qualitätsverbesserung des Unterrichts und zur Arbeitsentlastung der Lehrkräfte beitragen.

     

  • 4. Die Lehrer
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    Eine Verbesserung der Lehrerfortbildung sollte auf freiwilliger und auch auf verpflichtender Basis angestrebt werden. Zum einen sollten in den Schulen selbst und zwischen Nachbarschulen bessere Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Lehrerinnen und Lehrern institutionalisiert werden. Die Inhalte der Lehrerfortbildungsveranstaltungen sollten überdacht werden, die Kurse nur in den Schulferien stattfinden und für alle Lehrkräfte der Besuch einer Weiterbildungsveranstaltung innerhalb von zwei bis drei Jahren verbindlich sein. Nach dem Beamtenrecht dient der Teil der Ferien, der über den normalen Urlaub hinausgeht, sowieso der Weiterbildung. Voraussetzung sind Entlastungen auf anderen Gebieten, z.B. durch das Sekretariat bei Verwaltungsaufgaben.

    Bevor man widerspricht, sollte man bedenken, daß sich manche Lehrer ohnehin in den Ferien fortbilden und daß es Spaß machen kann, gemeinsam Stunden zu entwickeln. Hat man Einzelstunden gut ausgearbeitet, spart man während der Schulzeit Vorbereitungszeit. Vom Inhalt und von der Methodik her gute Stunden erhöhen Interesse und Motivation der Schüler und entlasten damit zusätzlich.

    Außerdem sind Fortbildungsveranstaltungen mit konkreten Praxisbeispielen nötig, die die Lehrer befähigen, besser auf die Schüler und ihre sozialen Probleme einzugehen.

    Schüler sollten schon "dort abgeholt werden, wo sie stehen"; dann sollten sie aber nicht getragen, sondern durch guten Unterricht motiviert und gefordert werden.

    Eine besonders geeignete Art des "Abholens" ist der forschend-entwickelnde Unterricht, der dafür sorgt, daß alle mit den gleichen Voraussetzungen anfangen und dann eine breite Mitarbeit auf ganz unterschiedlichem Niveau verlangt.

     

  • 5. Die Schüler
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    Durch eine breit angelegte Initiative, ähnlich der Stiftung Lesen, müßte erreicht werden, daß sich mehr Eltern als bisher ausreichend Zeit für ihre Kinder nehmen, mit ihnen vieles unternehmen und so Interessen wecken und fördern. Diese Interessen können dann auch später in den Unterricht eingebracht werden.

    Von den Schülerinnen und Schülern sollten größere Anstrengungen als sie bisher in der Regel üblich waren, erwartet und auch verlangt werden. Manche Jugendliche sind im Moment unterfordert; wenn sie an Grenzen stoßen, sollte das ein weiterer Ansporn sein.

    Die wohlverstandenen Schülerinteressen sind gleichzeitig von großer gesellschaftlicher Bedeutung, da es sich bei den Jugendlichen um die nächste Generation handelt.

    Wenn der Regelunterricht am Vormittag weiterhin im Rahmen hoher Klassenfrequenzen stattfinden muß, so sollten am Nachmittag Zusatzangebote für kleinere Lerngruppen eingerichtet werden. Hier kann man verstärkt auf individuelle Interessen eingehen und auf vielfältige Weise das Sozialverhalten üben.

     

     

    Hoffnungsvoller Ausblick

     

    Es muß angestrebt werden, die Ideenfülle und Stoffdichte der Unterichtsstunden durch vielseitige Auswahlaspekte zu steigern. Es muß mindestens problemlösend, am besten forschend-entwickelnd mit einem "Gesamtbild" als Ziel unterrichtet werden.

    Ein Wandel könnte hier schnell zustande kommen. Falls es zu einem Wettbewerb zwischen den Universitäten kommen sollte, hat das auch Auswirkungen auf die Ansprüche gegenüber den Schulen. Eltern und Jugendliche werden erwarten, daß sie die Aufnahmeprüfung einer angesehenen Universität bestehen. Ein zentrales Abitur wäre eine gute Sache: Die Leistungen wären vergleichbar, die Lehrpläne würden genauer eingehalten, die Eltern ließen sich einen hohen Unterrichtsausfall nicht bieten, Schüler und Lehrer strengten sich gemeinsam an, die Arbeit der Lehrer würde indirekt kontrolliert, was ein Ansporn wäre. Der straffende und im besten Sinne disziplinierende Effekt wäre enorm.

     

     

     

    Literatur

     

    /1/ Weinert, F.E.: Der intelligente Umgang mit Information. - In: Treusch u.a. (Hrsg.): Koordinaten der menschlichen Zukunft: Energie – Materie – Information – Zeit.. – Hirzel. – Stuttgart, 1997. – S. 362

     /2/ Ewers, M.: Strukturgitter der Naturwissenschaftsdidaktik. – Neue Deutsche Schule. – Essen, 1977

     /3/ VDBiol-Kommission: Konzept für eine fächerübergreifende Allgemeinbildung um die Jahrtausendwende. – In: Biologie in unserer Zeit. – 26 (1996) 6. – S.*93

     /4/ Margulis, L. u.a.: Die fünf Reiche der Organismen. – Spektrum. – Heidelberg, 1989

     /5/ Bossert, U.: Forschend-entwickelnder Biologieunterricht in der Sekundarstufe I. – In: Biologie in der Schule. – 47 (1998) 3. – S. 154-158

     /6/ Bossert, U.: Modellexperimente zum Wärmehaushalt der Säugetiere. – In: Biologie in der Schule. - 47 (1998) 5. – S. 268-271


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    Domäne  Bossert



    4.Oktober 1998
    © B.Bossert